Karlsruher Bildungsexperte Vittorio Lazaridis (auf dem Foto mit Bea Böhlen MdL) sieht in beruflichen Gymnasien die „ideale Ergänzung“ für Realschulen und Gemeinschaftsschulen.
Im Rahmen einer gut besuchten Bildungsveranstaltung des Kreisverbandes von Bündnis 90 / Die Grünen erläuterte der Leiter der Abteilung für Schule und Bildung im Regierungspräsidium Karlsruhe, Vittorio Lazaridis, in Sinzheim die aktuelle Schulentwicklung im Land. Kreisvorsitzender Thomas Hentschel wies zunächst darauf hin, dass die von der grün-roten Landesregierung eingeführte Gemeinschaftsschule ein Erfolgsmodell sei, wie an den Anträgen zur Einrichtung dieser Schulform erkennbar werde, bei denen es sich die jeweiligen Gemeinderätinnen und Gemeinderäte in aller Regel nicht einfach gemacht hätten. Im Anschluss an das Referat stellten sich Lazaridis, die Landtagsabgeordnete und Landtagskandidatin Beate Böhlen und der Zweitkandidat Hans-Peter Behrens den Fragen der Bürgerinnen und Bürger.
Seine Rede eröffnete Lazaridis mit einem Plädoyer zu Gunsten der Berufsschule, die aus seiner Sicht die am häufigsten unterschätzte Schulform sei. Das große Potenzial dieser Schulen sei daran ablesbar, dass etwa die Hälfte der Hochschulzugänge über die beruflichen Schulen erworben werde. Die beruflichen Gymnasien seien zudem eine ideale Ergänzung zu den Gemeinschafts- und Realschulen. Es gäbe zwar noch ein strukturelles Defizit bei der Unterrichtsversorgung an den Schulen, dieses sei aber in den letzten vier Jahren von teilweise mehr als 7 % auf durchschnittlich ca. 2,8 % reduziert worden. Und dieses Defizit sei aktuell auch dadurch bedingt, dass mittlerweile über 100 Klassen für Flüchtlinge an Berufsschulen gebildet worden sind.Die Werkrealschulen seien immer qualitativ gut aufgestellt gewesen und besser als ihr Ruf. Allerdings sei nicht von der Hand zu weisen, dass diese Schulform zwischenzeitlich immer weniger nachgefragt werde und an Akzeptanz bei den Eltern verloren hat. Bei den Grundschulen gebe es, so Lazaridis bei der Veranstaltung der Bündnisgrünen, eine aus seiner Sicht positive Entwicklung zur Ganztagsschule .
Mit Nachdruck stellte er klar, dass das Gymnasium „gesetzt“ sei. „Das Gymnasium verfügt mit Abstand über die höchste Akzeptanz in der Bevölkerung“, erklärte Lazaridis, und führte aus: “Es beruht außerdem über eine lange Tradition.“ Er wünsche sich aber, dass auch an den Gymnasien Konzepte für die individuelle Förderung der einzelnen Schüler stärker integriert werden könnten. Kritisch sieht der Karlsruher Bildungsexperte die Forderungen nach Wiedereinführung des neunjähirgen Gymnasiums. Bei der Einführung des G8 seien zwar handwerkliche Fehler gemacht worden, jedoch seien die erforderlichen Strukturen zwischenzeitlich etabliert und hätten sich als haltbar und gut erwiesen. Er verwies auf die Möglichkeiten einer G9-Beschulung an beruflichen Gymnasien oder über die Gemeinschaftsschule. Außerdem äußerte Lazaridis die Befürchtung, eine Wiedereinführung des G9 könne dazu führen, dass insbesondere die Realschulen und die beruflichen Gymnasien einen bedeutend geringeren Zulauf hätten, wodurch diese Schulformen unter Druck geraten könnten.
„Die Realschulen“, so Lazaridis weiter, „sind gut aufgestellt und haben eine Reihe von Förderungen in den vergangenen Jahren erhalten. Es wurden zusätzliche Poolstunden Jahren erheblich aufgestockt.“ Auffällig sei, dass die Realschule als sehr erfolgreiche und etablierte „Marke“ jetzt unter einem gewissen Veränderungsdruck stehe. Pädagogische Konzepte müssten schon allein wegen der großen Heterogenität der Schülerschaft angepasst werden.
Die Gemeinschaftsschule sei mit viel Engagement von Pädagogen, Kollegien, Eltern, und Beteiligten aus Land und Kommunen erfolgreich eingeführt worden, so die positive Bilanz von Vittorio Lazaridis. Mit ihr seien alte Forderungen nach mehr Bildungsgerechtigkeit durch individuelle Förderung und ein Eingehen auf die individuellen Bedürfnisse und Lernausgangslage des Kindes umgesetzt worden. Landesweit gibt es mittlerweile 270 Gemeinschaftsschulen, davon alleine 48 im Bereich des Regierungspräsidiums Karlsruhe. Im Landkreis Rastatt sind 4 Gemeinschaftsschulen eingerichtet worden, die alle sehr erfolgreich arbeiten und gut nachgefragt werden. Im Stadtkreis Baden-Baden gibt es noch keine. Aus Sicht des Leiters der Abteilung Schule und Bildung beim Karlsruher RP bestehen an der Theodor-Heuss-Schule und der Grund- und Hauptschule Lichtental Entwicklungsmöglichkeiten für eine Gemeinschaftsschule. Entgegen den Berichten in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung seien die ersten Erfahrungen mit dieser Schulform positiv. Allerdings brauche es auch noch Geduld, bis die Schule vollständig eingeführt ist. Sie habe ihre Existenzberechtigung neben den anderen Schulformen, sei aber auch nicht alternativlos.
MdL Beate Böhlen wies auf Nachfrage darauf hin, dass auch die Investitionen in den Schulbau im Landkreis vom Land in erheblichem Umfang gefördert wurden und werden. Allein acht Millionen Euro seien in der Region zum Teil bereits an Zuschüssen geflossen oder stünden abrufbereit zur Verfügung. Schließlich ging Lazaridis auf die nötige Integrationsmaßnahmen für Flüchtlinge ein. Er wies darauf hin, dass vom Land insgesamt 600 neue Lehrerstellen für die Unterrichtung von Flüchtlingen neu eingerichtet werden. Im Anschluss stellte sich Lazaridis noch den Fragen der Anwesenden und nahm die Anregungen insbesondere zum Erhalt der Bilingualen Schulen und der Öffnung von kleineren Schulen für die Gemeinschaftsschule mit.
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